Stationen für die Erinnerung

Für das Theater Lindenhof hat der vor kurzem verstorbene Schriftsteller Peter Härtling das im Dezember 1997 uraufgeführte Stück geschrieben.

Drei Winter lang, mit insgesamt über hundert Aufführungen, war „Die Melchinger Winterreise“ ein Magnet für Zuschauer aus nah und fern. Für Härtling war Franz Schuberts „Winterreise“ mehr als ein musikalisches Ereignis, für ihn war sie ein Sinnbild für die Heimatlosigkeit. In seinem Stück verknüpft der Autor Schuberts Leben und dessen Arbeit am Liedzyklus mit seinen eigenen Erfahrungen von Fremdheit.

Durch die weltweiten Fluchtbewegungen haben die Themen der Winterreise wieder neue Aktualität bekommen. Ein Grund, die Melchinger Winterreise nochmals aufzugreifen und neu zu erzählen. Geschichten von Neuangekommenen und Heimatsuchenden – gestern und heute – werden in ihr ihren Raum bekommen. Inmitten der Winterlandschaft der Schwäbischen Alb und in der Melchinger Theaterscheune.

Erleben Sie einen Theaterspaziergang voller starker Bilder, Poesie und Musik.

Gefördert durch die Baden-Württemberg-Stiftung.

Infos


Dauer: ca. 3 Stunden
Mit: Ruta Abrahale, Berthold BiesingerRahul Chakraborty, Regina Greis, Stefan Hallmayer, Susanne HinkelbeinPeter Höfermayer, Bernhard Hurm, Berthold Lüdenbach, Michael Mautner, Mohammad Noori, Marie Österle, Victor Oswald, Ida Ott, Franz Xaver OttHerwig Rutt, Carola Schwelien, Haben Woldehaimanot, Gustav Zahn
Regie: Christoph Biermeier
Dramaturgie: Georg Kistner
Bühne & Kostüme: Ilona Lenk
   Musik: Susanne Hinkelbein
  Premiere: 8. Dezember 2017

Organisatorisches

Flyer Melchinger Winterreise

Beginn: 15 Uhr
Die Melchinger Winterreise ist ein Theaterspaziergang mit verschiedenen Stationen. Die Zuschauer werden in drei Gruppen (A, B, C) durch das Theatergeschehen begleitet. Wichtig: Auf Ihrer Eintrittskarte finden Sie einen eindeutigen Hinweis, zu welcher Gruppe Sie gehören.

(Spiel-)Stationen gibt es im Theatersaal, im Foyer sowie auf dem Melchinger Himmelberg. Vom Theater zum Melchinger Himmelberg und wieder zurück werden Sie mit dem Bus gebracht.
Die Winterreise endet in der Theaterscheune, wo alle Gruppen zusammen kommen.

Fußweg
Personen, die nicht gut zu Fuß sind, empfehlen wir auf die Station auf dem Melchinger Himmelberg zu verzichten. Der Fußweg ist nicht befestigt und kann schneebedeckt sein. Insgesamt befinden Sie sich ca. 45 Minuten bei winterlicher Witterung auf dem Himmelberg.

Winter auf der Alb
Der Winter auf der Alb kann rauh sein. Wir empfehlen warme, wind- und
wetterfeste Kleidung sowie gutes Schuhwerk

Pressestimmen

  • „Die Inszenierung auf dem Himmelberg vor winterlicher Alb-Kulisse ist großartig (Bühne und Kostüme: Ilona Lenk): Mit Schuberts Klavier mitten in der Schneelandschaft, Trauer tragendem Baum, einem Reiter in der Ferne oder dem tapfer gegen den Wind kämpfenden Engel gelingen epische Bilder. Zwischen die traumhaften Bilder mischen sich beklemmende Szenen. Die Brücke zwischen Flüchtlingskrise und Winterreise zu schlagen, fällt dem Stück dann doch schwer. Es sind vier Geschichten, deren Handlung in losen Szenen auf dem Himmelberg angedeutet wird. Und all diese Geschichten müssen irgendwie in der zweiten Hälfte des Stücks in der Theaterscheune zu Ende erzählt werden. Die Chronistin (Ida Ott) hat große Mühe den Überblick zu halten. Eine Schubertiade endet schließlich mit ziemlich viel Klamauk in einer „multikulturellen Polonaise“. Trotz des Chaos, emotional ist die zweite Hälfte des Stücks dennoch. Dafür sorgen unter anderem Schuberts Musik in Arrangements von Susanne Hinkelbein und insbesondere die Geschichten der drei Geflüchteten aus Eritrea und Afghanistan, mit denen sie die Handlungen immer wieder in die Realität zerren. (Moritz Siebert)  
    Schwäbisches Tagblatt Tübingen, 21.12.2017
  • Je höher sich das schmal Sträßlein zum Himmelberg hinaufwindet, desto mehr verwandelt sich das Ganze in einen surrealen Trip. Aus dem Busradio tönt trostloses Liedgut von Schubert: „ Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh` ich wieder aus“. Irgendwo draußen zieht wie in Zeitlupe ein einzelner Reiter vorbei. Oben angekommen, eröffnet sich den Reisenden ein grandioses Panorama: die weite, harte Alb. Schwäbisch-Sibirien, mit eisigen Böen und klirrender Kälte. Unter den riesigen Windrädern kann nun der Theaterspaziergang über die Weiten des Himmelbergs beginnen, eine Schneewanderung vorbei an szenischen Stationen, die von Flucht und Vertreibung künden: die „Melchinger Winterreise“. (…)  [D]ie neue „Melchinger Winterreise“ will keine coole Analyse globaler Migrationsströme sein, sondern Theater mit Zuversicht, allen Ängsten zum Trotz. Biermeiers Neuinszenierung ist vieles zugleich: Zeitreise, Härtling-Autobiografie, ein Gang durch die Geschichte von Flucht und Vertreibung. Aber auch Traumspiel, Schubertiade, Integrationsfest und konkrete Utopie. (Michael Mailänder)
    Stuttgarter Zeitung, 11.12.2017
  • Die Bilder hätten nicht stärker sein können, der Winterwind kaum kälter: Die Premiere der neu erzählten "Winterreise" des Theaters Lindenhof in Melchingen ging wohl allen Besuchern unter die Haut: Nicht nur wegen des 40-minütigen Theater-Spaziergangs auf dem Himmelberg. Denn der war nur eine von fünf Stationen, Reisebus inklusive, durch die die Premierenbesucher da geschleust wurden. (…) Es ist ein logistisches Mammut-Werk, an das die Melchinger, an das sich Regisseur Christoph Biermeier und Dramaturg Georg Kistner da heranwagen, um für 150 Theaterbesucher, aufgeteilt in drei Gruppen, eine Geschichte von Heimatlosigkeit und Entwurzelung, von Einsamkeit und Erkaltung so eindrücklich in Szene zu setzen. Die Theatermacher von der Alb werfen da alles in die Waagschale, was sie haben: Ein verlässlich auf hohem Niveau agierendes Ensemble, den Gastschauspieler Rahul Chakraborty in der Rolle des Schubert, die Sopranistin und Gesangslehrerin Regina Greis, auch in der Rolle der Karoline von Esterhazy, die herausragende Komponistin Susanne Hinkelbein und vor allem den Mut, den Etat für ein ihnen wichtiges Projekt wohl bis an die Grenze zu strapazieren. (…) Der kleine Schönheitsfehler in einem ansonsten herausragenden Werk der darstellenden Kunst: Die Neu-Inszenierung weist gen Schluss Längen auf. Aus den drei Stunden werden dreieinhalb, die Hommage an den unlängst verstorbenen Autor und Freund Peter Härtling im letzten Teil gerät zu lang. Da wird manches doppelt erzählt oder noch einmal betont, was schon gesagt und schon gespielt wurde. Da hätte straffen gut getan, weniger wäre mehr gewesen. Trotzdem: auch diese "Winterreise" wird bleibende Spuren hinterlassen. Nicht nur im Schnee auf dem Himmelberg. (Erika Rapthel-Kieser)  
    Schwarzwälder Bote, 11.12.2017
  • Zuschauer sind sie ja, aber auch Reisende, die das Unterwegssein, vor allem die Eiseskälte, den schneidenden Wind, am eigenen Körper spüren. (…)Auf der Bühne dann scheint die Zeit durch den Engel der Geschichte und die Chronistin (Ida Ott) wieder aufgehoben. Die einzelnen Schicksale auch  von drei Menschen mit heutiger Fluchterfahrung (Ruta Abrahale und Haben Woldeheimanot aus Eritrea und Mohammad Noori aus Afghanistan) werden hier beleuchtet – von diesen Geflüchteten selbst, eingefasst von einfühlsamer Musik, die Susanne Hinkelbein (Klavier,) und Victor Oswald (Akkordeon) beisteuern. Das Publikum erlebt eine Schicksalsgemeinschaft von Entfremdeten, Traumatisierten über alle Zeit hinweg, nimmt Anteil, fühlt mit, Jeder der Zuschauer ein Kopfwanderer. Einer mit Herz auch, zur Empathie und zur Wärme fähig. (Christoph Ströhle)
    Reutlinger Generalanzeiger, 11.12.2017
  • Und so wird das Stationen-Stück zu einer Collage aus Mahnung und Poesie, Bild und Geschichte, Assoziation und Musik, Flüchtlingsbiografie und Selbsterfahrung für die Zuschauer. […] Der Zuschauer-Treck wandert vorbei an einem Flüchtlingszelt und einem Flüchtlings-Transporter, der im Graben gelandet ist. Auf der Höhe schieben ein paar Flüchtlinge ein Schlauchboot über den Schnee. Schuberts angehimmelte Karoline von Esterhazy singt gegen Wind und Kälte an.Irgendwo ist Härtlings Familie unterwegs auf der Flucht. Bernhard Hurms kleiner Peter hält die Fremde und den Hunger nicht mehr aus, rennt davon. Die Mutter wird von einem Rotarmisten vergewaltigt und begeht später Selbstmord. Der „Schutzpatron der Unbehausten“ und ewig getriebene Meister der Einsamkeit Schubert (Rahul Chakraborty) wird mit seinem Koffer vom Wind übers Gelände geweht, bis er auf Susanne Hinkelbein trifft, die mitten im Schnee Klavier spielt. Härtlings späterer Freund, der Maler Fritz Ruoff (Franz Xaver Ott), wiederum befeuert und schwärzt kahle Baumstämme. Auch er wird von den Nazis gefoltert.  Das alles wird später in der Scheune erzählt, wo alle Geschichten, Figuren und Zeitebenen mit schönen Bildern, mit Schatten- und Stellungsspiel, einer Schiffschaukel (Bühnenbild: Ilona Lenk) und Schubert-Variationen assoziativ miteinander verwoben werden. (Von Kathrin Kipp)
    Reutlinger Nachrichten, 10.12.2017