Weil es das Theater Lindenhof ist…
…geht es nicht um Wahrheit, sondern um Wahrhaftigkeit
Von Karina Wasitschek
Eine Wahrheit, so steht es im Duden, ist „die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird“. Das bedeutet, genau eine Aussage gilt, es existiert ein ‚wahr’ und ein ‚falsch’. Die menschliche Lebensrealität lässt sich jedoch nicht in dieser zweiwertigen formalen Logik ausdrücken.
Deshalb sind „Wahrheit und Wahrhaftigkeit verschieden“, erklärt Regisseur Philipp Becker vom Theater Lindenhof. „Theaterkunst ist ja keine mathematische Formel. Die Schauspielenden finden nicht die eine Wahrheit, genau daran scheitern sie. Das Wahrhaftige ist, dass Menschen sich ernsthaft beschäftigen mit grundsätzlichen Dingen. Im Theater muss ich Gefühle, die ich gar nicht fühle, wahrhaftig darstellen. Aber das Tolle, das Paradoxe ist: Es ist ja alles echt! Echte Menschen, die in der echten Zeit echte Dinge machen. Aber nie behaupten, dass das wahr ist, was sie machen. Idealerweise aber wahrhaftig. Wenn wir über einen Theatermoment – ein ästhetisches Erlebnis in der Realität – diskutieren, haben wir beide gleich Recht und gleich Unrecht.“
Nichts ist persönlicher und schwieriger, als ein individuelles Erleben klar zu beschreiben und damit festzuschreiben. Die eine, für alle gültige Wahrheit gibt es nicht. Das Theater kann die Realität widerspiegeln, in der Aussagen gegen Aussagen stehen und dabei jede Sichtweise eine Wahrheit von vielen ist.
Der Lindenhof ist eine Stiftung, die Theater macht – das ist ‚wahr‘. Dabei lässt sich aber leicht vergessen, dass er aus vielen Menschen mit eigenen Sichtweisen besteht, die gemeinsam vor und hinter der Bühne an einer Sache arbeiten. Aus unterschiedlichen Örtlichkeiten kommend, finden sie an einem Ort zusammen, um ihre persönlichen Perspektiven in der Kunst verschmelzen zu lassen.
Sie beschäftigen sich grundsätzlich mit dem, was Theater in seiner Wahrhaftigkeit sein kann. Während und durch ihre Arbeit (er)finden sie ‚den Lindenhof‘ stetig aufs Neue. Einige dieser Menschen, die ihn so beständig hervorbringen, sollen hier zu Wort kommen: Was repräsentiert den Lindenhof für sie?
Je nachdem, zu welcher Zeit, an welchem Ort und welche Person gefragt wird, fällt die Antwort unterschiedlich aus. Diese Vielfältigkeit soll in diesem Ausstellungsteil anhand kommentierter Fotos sichtbar werden. Einen ‚wahren‘ Lindenhof-Kern gibt es damit nicht. Das Theater aber erlaubt es uns und sich selbst, es immer wieder wahrhaftig zu erleben.