Weil es das Theater Lindenhof ist…
… wird ein Gasthof mit Scheune zu einem Fusionsraum von Stadt-Land-Bildern
Von Ann-Sophie Knittel
Die Natur im Umland Melchingens auf der Schwäbischen Alb – oder der dicht bebaute Kessel von Stuttgart? Zwei Bilder, die uns gängige Vorstellungen von ‚Stadt‘ und ‚Land‘ vor Augen führen. Die Kategorien ‚Stadt‘ und ‚Land‘ werden in der Regel als gegensätzliche Räume wahrgenommen. Das Theater Lindenhof nimmt vor diesem Hintergrund eine spezielle Rolle ein: Viele seiner langjährig treuen Gäste kommen aus den Städten der Umgebung nach Melchingen. Hierbei spielt der Standort im Dorf auf der Alb für das Publikum aus der Stadt eine entscheidende Rolle. Das Theater gehört für die städtischen Gäste „einfach da ‘nauf.“ Ein Gast beschreibt den Lindenhof als „ein besonderes Theater an einem besonderen Ort.“ Was macht ihn so besonders? Warum zieht es die Menschen so zahlreich auf die Alb und worin unterscheidet sich das Theatererlebnis im Lindenhof von einem Theaterbesuch in der Stadt?
Ein Dorf wie Melchingen ruft bei den Gästen aus der Stadt bestimmte Assoziationen hervor. Deutlich zeigt sich, dass ihre Wahrnehmungen von den bestehenden gesellschaftlichen Bildern von ‚Stadt‘ und ‚Land‘ beeinflusst sind: Vielfältiges, kritisch-poetisches Theater wird in der ländlichen Region nicht erwartet. Der Lindenhof wird beim städtischen Publikum deshalb zum einmaligen kulturellen Highlight. Ein Albdorf und ein Freies Theater bilden ein attraktives Spannungsfeld für die Gäste: „Großstadttheater in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb – das macht den Reiz des Theaters Lindenhof aus“, erklärt ein Besucher aus Balingen.
Zugleich wandern die städtischen Gäste gerne im beliebten Naherholungsgebiet Schwäbische Alb. Ein Theaterbesuch im Lindenhof am Ende des Tages rundet dann den Wanderausflug mit Familie und Bekannten ab. Und mehr noch: Das Theater ermöglicht, aus dem eigenen Alltag auszubrechen und für kurze Zeit in eine andere Lebenswelt – fernab vom städtischen Umfeld – einzutauchen.
Auch die Tatsache, dass hier Menschen aus unterschiedlichen Gruppen – von ‚oben‘ (der Alb) und von ‚unten‘ (dem Albvorland) – im Lindenhof zusammenkommen, wird vom städtischen Publikum wahrgenommen und positiv assoziiert. So entsteht ein Teil der Besonderheit, die dem Theater Lindenhof zugeschrieben wird, immer wieder aufs Neue dadurch, wie städtisches Publikum ‚Stadt‘ und ‚Land‘ als gegensätzliche Räume imaginiert.
So wird der Lindenhof zu einem Schmelztiegel von Themen, Menschen und Umgebungen: Albdorf trifft auf Großstadttheater, Menschen aus den umliegenden Städten bilden mit Menschen von den Dörfern der Alb gemeinsam das Publikum, ‚Naturerlebnis‘ trifft auf ‚Kulturerlebnis’ und lokale ländliche Themen werden kritisch und anspruchsvoll inszeniert. Das Theater selbst wird damit für seine Gäste zu einer Art Fusionsraum. Die Grenzen der Kategorien ‚Stadt‘ und ‚Land‘ verschwimmen dort – wie auch die beiden Fotografien in diesem Exponat.
Foto 1 „Schwäbische Alb“ Quelle: Karina Wasitschek, Foto 2: „Stuttgart von oben“ Quelle: Amelie Tress.